Am 16. Juli 2020 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache C-496/19, dass eine nicht beanstandete vorherige physische Prüfung der Einleitung einer späteren Überprüfung gemäß Art. 78 Zollkodex nicht entgegensteht.
Vorlagefrage
Der EuGH entschied über die Auslegung von Art. 78 der Verordnung zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ([EWG] Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992, ABl. 1992, L 302, S. 1) im Hinblick darauf, ob die physische Prüfung der Waren der Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der zollrechtlichen Feststellung nach Art. 78 des Zollkodex entgegensteht.
Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union
Der EuGH entschied am 16. Juli 2020, dass eine im Zuge der Einfuhr vorgenommene physische Prüfung der Waren einer Einleitung eines Verfahrens zur Überprüfung der Zollanmeldung nach Art. 78 des Zollkodex nicht per se entgegensteht. Vielmehr habe die entsprechende Behörde ein eingeschränktes Ermessen, welches sie begründet ausüben muss. Hierbei stellt die vorherige nicht beanstandete Prüfung keinen Ablehnungsgrund für einen Antrag nach Art. 78 Abs. 1 Zollkodex dar.
Begründet wurde dies zum einen damit, dass der Wortlaut des Art. 78 Zollkodex keinerlei Einschränkungen für die Zollbehörden vorsieht, eine erneute Überprüfung durchzuführen und die erforderlichen Maßnahmen zur Herstellung einer richtigen Besteuerung im Sinne des Absatzes 3 zu ergreifen.
Zum anderen sprechen der Teleos des Zollkodex – „eine ordnungsgemäße Erhebung der darin vorgesehenen Abgaben sicherzustellen“ – sowie der spezielle Teleos des Art. 78 Zollkodex – „das Zollverfahren auf die tatsächliche Situation abzustimmen“ –, gegen eine Einschränkung der Überprüfungsmöglichkeiten.
Dabei hebt das Gericht hervor, das „unrichtige oder unvollständige Grundlagen“ im Sinne des Art. 78 Zollkodex sich sowohl auf tatsächliche Irrtümer oder Unterlassungen als auch auf Irrtümer bei der Auslegung des anwendbaren Rechts beziehen.
Hintergrund des Rechtsstreits
Im Ausgangsverfahren klagte die Antonio Capaldo SpA gegen die Ablehnung der Anträge auf Überprüfung der Zollanmeldung und Rückerstattung der zu viel abgeführten Zoll- und Mehrwertsteuerbeträge. Die Antonio Capaldo SpA hatte zuvor aufgrund interner Überprüfung festgestellt, dass die aus China importierten Gartenpavillons einer falschen Tarifposition zugewiesen waren, so dass der Zollsatz statt 12% nur 6%, bzw. 0%, betragen hätte.
Das Zollamt lehnte diese Anträge ab. Das Gericht der ersten Instanz wies am 25. Februar 2015 die gegen die Ablehnung gerichtete Klage zurück. Begründet wurden beide Entscheidungen insbesondere damit, dass das Zollamt nicht verpflichtet sei, dem gestellten Überprüfungsantrag stattzugeben, und dass die berücksichtigte Tarifposition richtig sei. Das Gericht führte weiter aus, eine Einfuhr derselben Art sei Gegenstand einer physischen Prüfung gewesen und diese sei von dem die Klägerin des Ausgangsverfahrens vertretenden Zollagenten nicht beanstandet worden. Aus diesem Grund sei die Zuweisung bindend.
Daraufhin legte die Antonio Capaldo SpA Einspruch gegen diese Entscheidung beim Commissione tributaria regionale della Campania (Regionalsteuerkommission Kampanien – Außenstelle Salerno, Italien) ein. Dieses legte die Streitfrage im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV dem EuGH vor.
JM
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